Deep Talk Ep. 14: Wie höre ich auf, als introvertierte Frau „zu lieb“ zu sein?
Ein Gespräch mit Karriere-Coach Silvie Stollreiter (https://www.silvie-stollreiter.com/)
In dieser Ausgabe von »Deep Talk« spreche ich mit Silvie Stollreiter. Sie ist Karriere-Coach für introvertierte Angestellte und erzählt uns:
warum introvertierte Menschen sich oft selbst im Weg stehen und dadurch im Berufsleben übersehen werden.
wie besonders introvertierte Frauen aus der Rolle des „lieben Mädchens“ herauskommen, um authentisch aufzutreten und respektiert zu werden.
Christina: Hallo Silvie, danke, dass Du heute bei uns bist. Du arbeitest als selbständige Karriere-Coach für introvertierte Menschen. Wie bist Du dazu gekommen?
Silvie: Ganz unverhofft – durch eine überraschende Kündigungssituation im Jahr 2019: Ich war schon länger unzufrieden im Job, doch mir fehlte die letzte Konsequenz, um an diesem unbefriedigenden Zustand etwas zu ändern.
Zum einen habe ich als Controllerin sehr gutes Geld verdient. Zum anderen gab es am Standort einige attraktive Benefits für Mitarbeiter:innen (qualitativ hochwertiges Essen in der Kantine, Massageangebot, sehr gute Öffi-Anbindung etc), die mich daran hinderten, meine Komfortzone zu verlassen.
Am meisten hat mich jedoch verunsichert, dass ich nicht wirklich wusste, was ich sonst beruflich machen sollte. Deswegen habe ich diese Frage auch über die Jahre gefühlt nur vor mir her geschoben. Anstatt mich intensiver damit zu beschäftigen. Mit Sprüchen wie „Irgendwo anders ist das Gras ja auch nicht grüner“ oder: „So schlecht hast Du es ja eh nicht“ habe ich mir meine damalige Situation schöngeredet.
Doch wirklich zufriedener bin ich nicht geworden. Da mir die Herausforderung und vor allem der Sinn fehlte. Deshalb habe ich Ende 2018 auch intern die Stelle gewechselt. Meine große Hoffnung war, in der Qualitätsabteilung als Black Belt wieder mehr Spaß am Job zu haben. Prozessverbesserungen waren ja „mein“ Ding, sozusagen.
Doch die Projekte liefen nicht nach Wunsch. Ende 2019 wollte man mich dann überraschend kündigen. Das war für mich als langjährige Leistungsträgerin in der Firma eine sehr schwierige Situation. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich mich extern „nur“ als Controllerin bewerben kann. Und darauf hatte ich ehrlich gesagt null Bock.
Alleine die Vorstellung, noch 30 Jahre in diesem Job bis zur Pension zu versauern, war unerträglich für mich. Ich wusste: So kann es nicht mehr weitergehen!
Diesem Schockerlebnis habe ich es zu verdanken, dass ich schlussendlich all meinen Mut zusammengenommen habe, um mich beruflich umzuorientieren. Heute unterstütze ich introvertierte Angestellte auf ihrem Weg zu mehr Sichtbarkeit im Job.
[Anmerkung d. Redaktion: Wer gerne mehr über Silvies Werdegang erfahren will, kann dies hier tun: https://youtu.be/yeRHfNa2nBo]
Christina: Womit stehen sich introvertierte Menschen im Job oder auch in der Selbständigkeit am ehesten selbst im Weg?
Silvie: Hauptsächlich mit zwei Dingen: Dass sie ihr Licht zu sehr unter den Scheffel stellen, gepaart mit zu vielen Selbstzweifeln. Typische Sprüche dafür sind zum Beispiel: “Was ich kann, kann doch jeder!” oder “Was ich mache, ist nichts Besonderes!”
Das hat dann zur Folge, dass Introvertierte im Job häufig übersehen werden und ihre Fähigkeiten unentdeckt bleiben. Viele fristen dann ein unwürdiges Dasein in einem langweiligen Job, der weit unter ihren Möglichkeiten liegt. In diesem Zustand erhalten sie dann auch nicht die erhoffte Anerkennung vom Chef / von der Chefin, die sie sich trotz hoher Gewissenhaftigkeit und hohem Qualitätsbewusstsein so sehr wünschen.
Beim Thema Selbstzweifel ist typisch, dass leise Menschen tendenziell zu selbstkritisch mit sich selbst sind. Sich ständig zu hinterfragen und sich selbst wegen jeder Kleinigkeit zu kritisieren, führt mit der Zeit zu einer gewissen Unsicherheit.
In diesem Zustand wird es dann auch immer schwieriger, mutig voranzugehen und neue Herausforderungen anzunehmen bzw. Risiken einzugehen. Stattdessen wählt man die sichere Variante und zieht sich lieber ins introvertierte Schneckenhaus zurück. Das ist zwar ein guter Ort, um sich zu erholen – jedoch auf Dauer steht man sich damit nur selbst im Weg. Da die eigene Entwicklung stagniert.
Viel besser ist es deshalb, zu lernen, mit Unsicherheiten und Rückschlägen umzugehen. Sie gehören zum Leben dazu wie Tag und Nacht, Schwarz und Weiß, oder Licht und Schatten. Auch die Auseinandersetzung mit sich selbst, z. B. mit dem, was man gut kann, hilft, um sich Schritt für Schritt aus dieser Negativspirale zu befreien.
Christina: Nein-sagen, Grenzen setzen – das alles sind wichtige Themen im Berufsleben, die vielen zurückhaltenderen Menschen schwerfallen. Schnell tappen dann gerade wir Frauen in die “Liebes-Mädchen”- oder “Mädchen-für-alles”-Falle und werden nicht mehr ernst genommen. Wie kommen wir da raus? Oder am besten gar nicht erst rein?
Silvie: Oh ja, Frauen tappen tatsächlich sehr häufig und oft viel zu schnell in diese Falle. Die (meist unbewussten) gesellschaftlichen Prägungen und Erwartungshaltungen spielen da eine wichtige Rolle. Diese zu erkennen und im nächsten Schritt auch wieder „rauszubekommen“ ist ein längerfristiges Projekt.
Davon möchte ich mich selbst gar nicht ausnehmen – da mich das natürlich genauso betroffen hat. Bei mir hat sich das z. B. so gezeigt, dass ich mein Gegenüber nicht in eine ungute Situation bringen wollte. Daher habe ich alles dafür getan, dass nicht der Hauch einer Kritik oder Nörgelei entstehen kann. Um nur ein Beispiel zu nennen.
Was können wir also tun, um aus dieser Falle wieder rauszukommen bzw. gar nicht erst reinzufallen?
Das eigene Verhalten studieren. Das Ganze ist sozusagen ein „Bewusstmachungsprozess“.
Helfen können dabei folgende Fragen:
· In welchen Situationen neige ich zum „Lieben Mädchen“?
· Welche Verhaltensweisen, Worte, Gesten etc. lösen bei mir dieses Verhalten aus?
· Was erhoffe ich mir durch mein Verhalten?
· Wie nimmt mein Gegenüber mein Verhalten wahr?
· Wie möchte ich wahr genommen werden?
· Welches Verhalten sollte ich deshalb „an den Tag legen“?
· Gibt es jemanden, der mich dabei unterstützen kann?
Indem wir uns all dies nach und nach bewusst machen, können wir gezielt daran arbeiten, diese Muster zu durchbrechen bzw. zu korrigieren.
Ein selbstbewusstes und authentisches Auftreten ist der Garant dafür, dass wir ernst genommen und respektiert werden. Das setzt natürlich auch voraus, dass wir unsere eigenen Stärken und Bedürfnisse kennen. Und für diese auch einstehen. Etwas, was viele in diesem Zusammenhang auch häufig vergessen: Nur wenn es mir gut geht, kann ich einen wertvollen Beitrag im Team / in der Familie / im Bekannten- & Freundeskreis leisten. Deshalb lohnt sich der Aufwand auf alle Fälle, weil es ja um mich, um mein eigenes Wohlbefinden geht. So wichtig sollten wir uns auf alle Fälle nehmen!
Christina: Da greifen ja meist tief sitzende Schuldgefühle oder das schlechte Gewissen, wenn wir nicht Nein sagen können oder wollen? Viele sensible Menschen sind sehr empathisch. Wie schaffe ich es, mir meinen Raum zu schaffen, ohne die “gefürchteten” Ellenbogen ausfahren zu müssen und anderen auf die Füße zu treten?
Silvie: Die gute Nachricht ist: Es ist möglich, sich Raum zu verschaffen und für seine eigenen Bedürfnisse einzustehen. Ohne dabei anderen Personen zu schaden oder sie zu verletzen.
Leise Menschen dürfen verstehen lernen, dass nur sie selbst für ihre Bedürfnisse einstehen können. Sie dürfen nicht hoffen, dass der andere erkennt, was man braucht / was in einem vorgeht.
An dieser Stelle bringe ich gerne das Verantwortungsprinzip ins Spiel: Wenn ich möchte, dass sich etwas ändert, dann bin ich dafür verantwortlich, für Veränderung zu sorgen. Wenn ich darauf warte bzw. hoffe, dass der andere den 1. Schritt macht, dann gebe ich Verantwortung ab, bin passiv und lande sehr schnell in der Opferrolle.
Ein guter Start ist es, sich mit sich selbst näher auseinanderzusetzen (das ist ja etwas, das viele leise Menschen gerne machen).
Zwei Fragen, die dabei helfen können:
In welchen Situationen / gegenüber welchen Menschen fällt mir nein-sagen schwer?
Gibt es heute schon Situationen bzw. Menschen, wo mir nein-sagen leichter fällt?
Im 1. Schritt ist es mal wichtig zu verstehen, warum man so handelt. Wenn man das Warum kennt, kann man dann Schritt für Schritt sein Verhalten ändern.
Dabei aber bitte nicht in die Perfektionismusfalle tappen – zu der ja auch viele leise Menschen neigen.
Eins schon mal vorweg: Ein Verhalten zu ändern ist ein Marathon und kein Sprint. Das Ganze braucht Zeit. Wichtig ist es, den Marathon im eigenen Tempo zu laufen. Und ja, es wird auch Rückschläge geben. Ein Rückschlag kann auch was Gutes sein – weil er uns zeigt, wo wir noch genauer hinschauen dürfen. Wichtig ist, sich auf das Positive zu konzentrieren, denn: Energie folgt der Aufmerksamkeit. Das, womit ich mich beschäftige, wächst.
Christina: Was durftest Du auf Deinem Karriereweg als introvertierte Person lernen? Wie lebst Du das heute in Deiner Selbständigkeit?
Silvie: Dass es wichtig ist, für sich einzustehen. Das setzt voraus, dass man seine Stärken, Werte und Bedürfnisse kennt. Dass man weiß, was einem wichtig ist. Wo es rote Linien gibt, etc.
Wichtig ist auch, an den richtigen Aufgaben zu arbeiten, Prioritäten zu setzen (um nicht in der Perfektionismusfalle zu landen) die Erwartungshaltungen vom Chef / von der Chefin zu kennen und die eigenen Arbeitserfolge zu kommunizieren.
Das sind alles Dinge, die mir nicht in die Wiege gelegt wurden und die ich nach und nach lernen durfte.
Bei mir war das Ding, dass ich immer sehr viel geleistet habe im Job. Habe gehofft, dass mein Chef mein Potenzial erkennt. Und mir basierend darauf dann spannende Aufgaben gibt. Doch das ist nie geschehen!
Vieles von dem, was ich geleistet habe, hat mein Chef nie gesehen. Gefühlt wurde ein/e Selbstdarsteller:in nach der anderen befördert. In meinen Augen war das ungerecht. Deshalb habe ich mich immer öfter gefragt: „Wie kann es sein, dass ich mich hier kaputt arbeite und gefühlt feststecke?“, „Was mache ich bloß falsch?“.
Licht ins Dunkel hat dann ein Leadership-Seminar gebracht: Ich muss das, was ich leiste, klar und überzeugend an meinen Chef kommunizieren. Als ich das verstanden habe, ist bei mir sprichwörtlich der Knoten geplatzt. Ich darf nicht hoffen, dass mein Chef „mich erkennt“. Ich selbst bin dafür verantwortlich, mich mitzuteilen!
Nach und nach habe ich dann auch bekommen, was ich wollte: Flexiblere Arbeitszeiten, ausgedehnte Homeoffice-Zeiten, stärkenbasiert zu arbeiten, ein deutlich besseres Gehalt, bei internationalen Projekten mitarbeiten, für eine Weile im Ausland arbeiten. Als Expat war ich z. B. in Amerika, Deutschland und Italien.
Und das Beste war: Ich habe all das erreicht, ohne mich zu verbiegen!
Deshalb bin ich auch das beste Beispiel, dass Sichtbarkeit auch für Introvertierte möglich ist. Dazu braucht es nur die richtige Anleitung. Wie das geht, das gebe ich heute in meinen Coachings und Seminaren an leise Menschen weiter.
Christina: Wie schön, dass Du damit heute inspirieren kannst und danke für Deine Gedanken und Tipps.
Mehr Tipps erhältst Du auch in Silvies kostenlosem E-Mail-Kurs: „Endlich vom Chef gesehen werden.“
Dort gibt es Aufgaben und Impulse zu folgenden Themen:
Teil 1: Stärken – Wie gut kennst Du Deine introvertierten Stärken?
Teil 2: Energie – Wie achtsam gehst Du mit Deiner Energie um?
Teil 3: Chef – Wie gut kennst Du Deinen Chef?
Teil 4: Chef-Kommunikation – Wie verständlich kommunizierst Du?
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Anmerkung: Die Redaktion übernimmt keine Verantwortung für die Inhalte des E-Mail-Kurses.
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